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lege lectis. Zur Austellungseröffnung Kunst im Amtsgericht Freiburg, 7.10.2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein - in der bildenden Kunst - eher ungewöhnlicher Themenkomplex zieht sich seit vielen Jahren wie ein roter Faden durch das Werk von Chris Popović: Das Bett beziehungsweise die Schlafgelegenheit, der Schlafraum. Der Titel der heute ausgestellten Serie „cubicularium“ ist zwar eine Wortbildung von Chris Popović, diese lehnt sich jedoch an das lateinische Wort „cubiculum“ an, was soviel wie Schlafzimmer meint. Der Begriff hat aber noch andere Bedeutungen und auf das, was er noch heißen kann, werde ich gleich zu sprechen kommen. Wenn Sie bereits Werke der Künstlerin kennen, so tauchen vor Ihrem geistigen Auge vielleicht die Collagen mit den alten, gemusterten Matratzenstoffen auf, an denen Chris Popović schon seit 1997 arbeitet. In diesen Kompositionen betreibt sie „Malerei mit anderen Mitteln“, denn das bereits vorhandene und eingearbeitete Stoffmuster bestimmt die Gestaltung ja ganz wesentlich mit. So spielt neben der erfundenen also auch die gefundene Form eine wichtige Rolle. In der hier ausgestellten, neuen Serie „cubicularium“ geht es nun ganz und gar um Malerei. Chis Popović arbeitet mit einer langwierigen Lasurtechnik, in der die Ölfarbe nicht schnell - nicht „alla prima“ - sondern in vielen einzelnen Schichten aufgetragen wird. Die Bildentstehung ist also ein langer Prozess - er erstreckt sich oftmals über Monate und Jahre - und so geht es ihr auch nicht nur um das fertige Bild, sondern auch um den Weg dorthin.

Obgleich wir es nun also nicht mehr mit Collagen zu tun haben, sind die ausgestellten und zwischen 2001 und 2006 entstandenen Arbeiten nicht ohne die erwähnte Serie der Matratzenstoffbilder denkbar. Denn auch in ihrer Malerei ist die Künstlerin nicht an neuen, modernen Matratzen interessiert, bildwürdig wurden wieder die Stoffe jener alten, rückenunfreundlichen 3-teiligen Modelle, die es früher in vielen Farben und Mustern gegeben hat. Sie erinnern uns an eine Zeit, in der diese Unterbetten nicht selten das gesamte Leben begleiteten, nicht selten starb man auf der selben Matratze, auf der man auch geboren wurde. Und an dieser Stelle möchte ich auch den anfänglich angekündigten Nachtrag zur Wortbedeutung von „cubiculum“ anfügen: Eine weitere - allerdings nicht belegte sondern nur sprachwissenschaftlich erschlossene Bedeutung des Wortes bezieht sich in der Tat auf den großen Bruder des Schlafes: „cubiculum“ kann nämlich auch mit Grabkammer oder Kapelle übersetzt werden. Und vielleicht mag Ihnen nun auch der von Heinrich Heine geprägte Begriff der „Matratzengruft“ in den Sinn kommen. Über die Gemeinsamkeiten zwischen den Collagen und der Malerei habe ich gesprochen, doch damit nun keine Missverständnisse aufkommen: Hier werden nicht einfach die Stoffcollagen in Malerei überführt, es passiert zusätzlich noch jede Menge Neues. Lassen Sie mich daher über drei verschiedene Gruppen mit ganz unterschiedlichen Bildaussagen sprechen:
Ich beginne hier im ersten Obergeschoss, wo sich hauptsächlich frühere Werke befinden. Möglicherweise erinnern Sie sich an das erste Bild, das Sie am Ende des Treppenaufgangs wahrgenommen haben. Das in Grautönen fein abgestufte Werk zeigt zwei eng aneinander gerückte Kissen. Weitere, sehr malerisch behandelte und auf einem starken Hell-Dunkel-Kontrast aufgebaute Kompositionen folgen auf diesem Stockwerk. Mit diesen Bildern begann Chris Popović ihre Serie. Sie hat hier übrigens ohne Schwarz gearbeitet und alle Grauwerte basieren aus der Mischung der beiden komplementären Farben Rot und Grün. Betrachtet man diese Arbeiten genauer, so kommt man zu einer überraschenden Erkenntnis: Ja, es geht hier um Malerei, um den Umgang mit Farbe und Kontrasten. Aber es klingt auch um etwas ganz anderes, erstaunlich Inhaltliches an. Letztendlich stehen die Gegenstände als Stellvertreter für die Personen im Raum, es geht also um die Beziehung zwischen zwei Menschen. Blicken Sie auf die unterschiedlich angeordneten Kissen: Ihre Positionen repräsentieren eine große Gefühlspalette von intimster Nähe zu unversöhnlicher Distanz. Viel stärker als um die Darstellung von Betten, Matratzen und Kissen geht es also um den Raum zwischen ihnen, um die Lücke.

Chris Popović hat nicht nur Kunst, sondern auch Mathematik studiert. Ganz sicher wohnen also - mindestens - zwei Seelen in ihrer Brust. Warum ich jene Tatsache an dieser Stelle erwähne, mag der Blick auf eine weitere Gruppe von Bildern erklären. Ich komme nun zu jenen Beispielen, in denen es weniger um Zwischenmenschliches als um die Motive „Verfremdung“ und „Verwandlung“ geht. Hier ist nun auch die Farbe stärker in den Vordergrund getreten. Die bunt gemusterten Matratzen stehen vor einem leuchtend monochromen Grund oder finden sich in einer unklaren, manchmal sogar bewusst irreal gehaltenen Raumsituation. Über den Umgang mit Farbe und Form wird hier nicht an einer emotionalen, sondern an einer räumlichen Nähe und Ferne gearbeitet. Aber wir entdecken nun auch noch etwas anderes: Die Mathematikerin offenbart ihre Liebe zum rechten Winkel, zum Rechteck, Quadrat und zu den Parallelen, also zu den Streifenmustern. Und natürlich haben auch die floralen Ornamente in ihrer flächendeckenden Wiederholung etwas mit Mathematik zu tun. Und nun erkennen wir, was anfänglich wohl überhaupt der Auslöser für die Beschäftigung mit diesem ungewöhnlichen Material gewesen war: Es war die Kombination der strengen, gemusterten Stoffe mit der Aura des gelebten Materials. Zu diesen Beobachtungen passt, dass wir immer wieder die Paarung von fast komplementären Farbtönen finden. Auf einem Bild von 2006 tritt neben eine blau-weiß verzierte Matratze ein konstruktives, orangefarbenes Element. Hier wird eben nicht ganz exakt, sondern mit leichten Abweichungen gearbeitet, denn die beiden Farben stehen sich im Farbkreis nicht ganz genau gegenüber. Wie gesagt: Zwei Seelen wohnen in der Brust von Chris Popović.

Abschließend möchte ich nun noch auf die dritte Gruppe zu sprechen kommen. Viele Beispiele für diese ganz neuen Werke finden Sie im Erdgeschoss, und auch das Bild „cubicularium XIII“ auf Ihrer Einladungskarte zählt zu dieser Serie. Bei diesen neuen Arbeiten geht es weniger um einen emotionalen, zwischenmenschlichen Bereich und es kommt auch nicht zu räumlichen Verfremdungen oder zum Kontrast von malerischen und konstruktiven Elementen. Statt dessen haftet den überscharf festgehaltenen Blumenornamenten etwas ausgesprochen Magisches an. Mit wissenschaftlicher Akribie werden alle Details widergegeben, es wird das Verhältnis der Gegenstände zueinander beobachtet, ihre Erscheinungsweise im Raum, ihre Stofflichkeit und ihr Verhalten unter dem Einfluss von Licht und Schatten erkundet. So realistisch sie wiedergegeben sind, die Matratzen wirken plötzlich eisig, der Betrachter sieht sich zwar mit Vertrautem konfrontiert, erlebt aber hier eine Welt, die sich ihm verweigert. Mich faszinieren diese Werke ganz besonders, denn in gewisser Weise ist Chris Popović hier so etwas wie die Quadratur des Kreises gelungen: Obgleich sie nicht auf den Gegenstand verzichtet, führt sie doch eine absolut autonome Malerei vor. Damit möchte ich sagen, dass in meinen Augen das Sujet an sich, also das Bett, das Kissen, die Matratze nie so unwichtig war, wie in diesen Bildern. Auf den ersten Blick mag das paradox erscheinen, denn nie war der Gegenstand ja deutlicher dargestellt. Doch Chris Popović verzichtet in dieser neuen Bildgruppe in radikaler Weise auf erzählerische und metaphorische Aspekte, mehr und mehr schließt sich der Gegenstand vom Betrachter ab. Je länger wir die blau-weiß gemusterten Matratzen betrachten, desto weniger glauben wir an ihren Realismus. Das Motiv hat sich verselbständigt.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich hoffe, Sie konnten mir auf meinem Gang durch die Ausstellung von Chris Popović folgen. Vieles wäre zu dieser interessanten Werkgruppe noch zu sagen, aber manchmal entziehen sich die gemalten Dinge auch einer Beschreibung durch Worte. Benutzen Sie daher das „cubicularium“ von Chris Popović einfach auch als „Denkraum“. Was also sehen wir? Sind es wirklich „nur“ Matratzen?
Dr. Antje Lechleiter

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